Pop-Jazz-Abgehmugge, Samstag, 23. Oktober 2021, 21:00, VVK 22 CHF, AK 25 CHF

AUSVERKAUFT - Tourlaub - Les TouristesCH & CARVEL‘CH

Nach Babypause und generellem ausgiebigen Langweilen sind CARVEL' und Les Touristes wieder auf der Bildfläche aufgetaucht und wollen gemeinsam auf Tour gehen. Im Gepäck haben sie neben etwas mehr Hüftgold und etwas weniger Kopfhaar zum einen brandneue Songs aus dem Homeoffice und zum anderen noch lauwarme Songs aus der letzten Studiosession, die leider ihre Konzerttaufe im letzten Sommer verpasst haben. Doch das wird nun schnellstmöglich nachgeholt.

CARVEL' (fragt uns nicht nach dem' - fragt nicht nach Bandnamen) mit ansteckendem Organic-Disco-Pop und Les Touristes (warum französisch?), mit ihren mindestens 86% mitsingbaren und 93% tanzbaren Songs, ergeben ein symbiotisches Doppelfeuerwerk für Konzertgourmets. Für die Kapitalisten und Sparfüchse bedeutet das: doppelt geniessen und nur einmal zahlen. Für Skeptiker und Mitgeschleppte doppelte Chancen auf einen grandiosen Konzertabend. Wie dem auch sei: Nach zwei abgesoffenen Festivalsommern sind die beiden Bands so was von ready to party!

Les Touristes
Seit der Veröffentlichung ihrer EP Chame Mache hat sich die Welt der Touristen verändert.

Nicht nur, dass Covid der geplanten Clubtour und zwei Festivalsommern einen dicken Strich durch die Rechnung gemacht hat, auch im Privatleben der Band hat sich einiges getan. So ist der Bassist inzwischen Vater und aus den Studenten sind Berufstätige geworden.

Diese Veränderungen spiegeln sich auch in der Themenwahl der Band wider. Bei ihrem Doppelrelease Himmel euses Dach – produziert vom Schweizer Tausendsassa Nemo – dreht sich alles um das Thema Sehnsucht. Aber aufgepasst, wer denkt, Sehnsucht bedeute schwere Balladen und triste Texte, der irrt. Der Song Maria hat die Genetik eines echten Sommerhits und macht nach dem verregneten Sommer Lust auf eine wilde Party: pünktlich zu Beginn der Clubtour im Oktober. Tanz hingegen lädt zum verträumten Tanzen auf nächtlichen Streifzügen ein, birgt aber auch ein hohes Mass an Mitsingpotential. Nemos einzigartiges Verständnis in Sachen Gesangsarrangement bringt dabei die Touristen auf ein nächstes Level.

Wer sich Sorgen gemacht hat, ob Les Touristes die Pandemie und den Schritt ins Erwachsensein überleben würden, kann aufatmen - sie waren nie weg, sie haben lediglich Anlauf genommen.

CARVEL’ – FEHLENTSCHEIDUNGEN UND VERRAT
Alles begann doch eigentlich gar nicht so schlecht für das Basler Quartett CARVEL’:

Nach Erscheinen der Debut-EP 2015 (kreativerweise «Eins» genannt) titelte «20 Minuten» euphorisch: «CARVEL’: zu gross für die Schweiz». Die Single «Baby Behold» der 2017 veröfffentlichten EP «Polarity» hielt sich beinahe 2 Jahre in der Rotation von SRF3 und selbst die Romandie sah sich gezwungen, den sonst so stark gepflegten Röstigraben zu überwinden: Couleur3 und Option Musique beorderten gleich drei der vier Songs zum Radio-Dienst.

Doch dann folgte eine Reihe von fragwürdigen Entscheidungen. Zu Hause am Rheinknie wägte man sich fortan als unantastbar und erlaubte sich, anstelle eines Albums, nur noch Singles zu veröffentlichen. Trotz ihres fortgeschrittenen Alters glaubten sie zudem, mit halb-authentischen DIY Musikvideos, die vor Selbstironie triefen, den Ansprüchen des digitalen Zeitalters zu genügen.
Unerwartet – und deshalb nicht minder enttäuschend – erhielten CARVEL’ 2019 für ihre Single-Auskopplungen, denen gar nie ein Gesamtwerk folgte, noch mehr Resonanz: Schlussendlich bemühten sich Radiosender aus der ganzen Schweiz und auch Deutschland um ein Stück CARVEL’-Kuchen.

Die lächerlich simplen Musikvideos sorgten für mehr Aufsehen als aufwendig produzierte Konkurrenz-Produkte und verführten sogar die amerikanische Stadion-Rock Band «The Score» dazu, das Quartett auf deren Europatour 2020 einzuladen. Elf Konzerte in ganz Europa vor einem Publikum, welches sich auf Rockhymnen freut? Immerhin war nun endlich absehbar, dass die inzwischen als Popmusik verschriene und disco-getränkte Welt von CARVEL’ vollkommen fehl am Platz sein würde.
Aller Vorzeichen zum Trotz entpuppte sich die Kombination als voller Erfolg. Man fühlte sich als beste (Vor-)Band aller Zeiten, sprang von Bühnen und stieg auf Bartresen, teilte Bier mit dem Publikum und posierte in Celebrity-Manier endlos für Fotos mit der getäuschten Menge. Lediglich eine Pandemie sorgte für ein abruptes Ende des Erfolgs und die lang ersehnte Gerechtigkeit.

Klar schöpft Frau da Hoffnung, Mann werde nun endlich einsichtig und zimmert die überteuerten Gitarrenhälse und Sticks an die Wände. Doch es soll anders kommen: die vier sturen Köpfe scheinen bereits ihr nächstes Opfer gefunden zu haben: Die Stadt-Brüder Les Touristes sollen nun für einen Schweizer Tourlaub herhalten und dazu beitragen, die kulturell ausgehungerten Konzertgänger zu täuschen was CARVEL’ eigentlich ist. Immerhin haben die Basler den Anstand wieder einmal ein Gesamtwerk mitzubringen. Die EP «Cannot Not Dance» (VÖ 03.09.21) soll im Herbst als Brot für die Massen dienen.

Früher war alles besser, da hätt’s sowas wie CARVEL’ nicht gegeben.

Direkt vom Stammtisch